15.10.2016

Blind date heute - Nico

Blind date

Unter den vielen grandiosen Quilterinnen, die sich hier im Blind Date schon vorgestellt haben, fühle ich mich ein bisschen wie ein Ruderboot unter Traumyachten. Ja, ich bewege mich vorwärts, aber langsam und nicht sehr elegant. Deswegen ich bin stolz und aufgeregt, trotzdem etwas über mich zu berichten.


Hier fängt es an: Ich bin Nico, jenseits Mitte vierzig und Mutter dreier entzückender, lebhafter Mädchen zwischen 7 und 13 Jahren. In meinem Leben vor den Kindern habe ich Psychologie studiert und als Therapeutin und Unternehmensberaterin gearbeitet. Eigentlich leben wir in Refrath (gleich rechts neben Köln), und uneigentlich sind wir alle seit Ende 2015 in Ann Arbor, Michigan. Mein Mann arbeitet hier und wir haben uns gerne auf dieses Familienabenteuer eingelassen - und genießen es! 


Ich habe immer nach einem kreativen Ventil gesucht und seit ich denken kann alles ausprobiert, was nur ging (ok, Klöppeln und Teppichknüpfen waren nicht dabei, aber sonst wirklich alles). Allerdings habe ich immer behauptet, das Nähen würde ich ganz sicher nicht anfangen. Fragt jetzt nicht warum, vielleicht, weil beide Omas Schneiderinnen waren, mir aber nie auch nur eine Naht gezeigt haben.
Wie auch immer: An einem fiesen Regentag musste ich eine Ballettstunde der Großen überbrücken, zu kurz, um nach Hause zu fahren, zu nasskalt für einen Bummel durch Bensberg. Da wedelte mich die Fahne vor Dorthe Niemanns Geschäft „lalala“ an. Schnell ein Bestechungsbrötchen für die Jüngste gekauft und - husch - in den Laden. Nur mal gucken!


Mag melodramatisch klingen, aber ich glaube, beim Übertreten der Türschwelle muss es passiert sein. Die Farben haben mich - ja was? - glücklich gemacht. Das bringt es auf den Punkt und ist ja auch kein wirkliches Geheimnis unter Näherinnen und anderen Stoffsüchtigen, richtig? Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, war völlig überwältigt. Ich glaube, ich habe gar nichts kaufen können, weil alles so schön war und ich mich nicht entscheiden konnte. Nicht, dass sich das jetzt geändert hätte…

Ein Kit zum Üben, 1280 Teile ausgeschnibbelt…
Ich konnte nur noch hauchen: „Wissen Sie, wo man nähen lernen kann?“, Dorthe antwortete: „Klar: hier!“ und ich unterschrieb. Ein Patchwork- und Quiltkurs! Als wäre das was für mich, so olle Oma-Kissen in dunkelbraun und altrosé, geht ja gar nicht. Aber als Nähnichtskönnerin dachte ich mir, dass die mir schon irgendwas beibringen würden, mehr als Null geht immer. Also erklärte ich Kursleiterin Biggi Irion und Dorthe selbstbewusst, dass ich gerne Taschen nähen möchte, Quilten aber doof finde. Die beiden nickten weise, ließen mich reden und warteten wissend ab, bis ich ein paar Wochen später zum Kurs kam: „Ich weiß nicht, warum, aber ich möchte jetzt unbedingt Stoff in kleine Stücke schneiden und dann wieder zusammen nähen“. Ja, so war das.

Und jetzt rede ich seit rund anderthalb Jahren von kaum etwas anderem, mache meine Familie wahnsinnig, habe dieses Jahr im März meinen allerersten ganz fertigen Quilt gemacht, bin total stoffsüchtig und entschlossen, hier in Michigan alles über Quilts und das Quilten herauszufinden, was nur geht. A.L.L.E.S!

Ihr seht, mit Erfahrung kann ich wirklich nicht punkten. Auch mein künstlerisches wie handwerkliches Talent ist sehr übersichtlich, das weiß ich. Ich verzettle mich mit der Farbauswahl, bin nicht wirklich kreativ und trotz Wahnsinns-Hightech-Nähmaschine nicht in der Lage, eine gerade Naht zu nähen. Das Tolle daran ist: das macht nichts! Ich habe meinen zweiten Quilt genäht, weil ich Stoff in der Hand hatte, dessen Farben mich sofort an meine Freundin denken ließen. Sie kann richtig gut nähen und auf den ersten Blick sehen, dass meine Nähte krumm und schief sind. Während ich so vor mich hingequiltet habe, immer schön zackig-eckig übereinandermäandernd, wurde mir klar, dass meiner Freundin das egal sein würde. Und so ist es auch: sie freut sich über ihren Quilt, sieht die Liebe, die ich hineingenäht habe, die Zeit, die ich dafür aufbringen konnte, die Wertschätzung, die ich zum Ausdruck bringen wollte. Wen interessieren da krumme Nähte?

Mein letzter Quilt, kurz vor fertig
Was nicht heißen soll, dass ich nicht die Schönheit, Vollkommenheit und Kreativität Eurer Quilts bewundere. Ganz im Gegenteil, ich kann mich nicht satt sehen an den wunderwunderschönen Schöpfungen. Ich bin immer wieder fassungslos, welche Wunder Menschen (meist Frauen) mit Nadel und Stoff vollbringen können, traumhaft. Ich kann (und muss) damit leben, dass ich nicht zu den Guten gehöre. Ein bisschen besser werde ich bestimmt noch, aber das ist nicht zentral, das Thema hat so oder so eine sehr wichtige Rolle in meinem Leben eingenommen.

Sucht, schlimme Sammelsucht!
Was daraus wird, weiß ich noch nicht, ich sammle und suche. Ich nähe Kits, um die Grundlagen zu lernen, schaue mir sagenhafte Ausstellungen an, z.B. mit afro-amerikanischen, Amish oder chinesischen Quilts, bin Mitglied in der Ann Arbor Quilt Guild, kaufe im Secondhand-Laden Unmengen Stoffreste und alte Quiltzeitschriften und mache bei Workshops mit. Das ist in einem Land, in dem jeder normale Supermarkt im Zeitschriftenregal ein Dutzend Quiltzeitungen hat, natürlich ein echter Spaß. Quilts sind hier viel präsenter und selbstverständlicher. Die Traditionen sind (noch) lebendig, die Geschichte und Kultur so vielfältig. Warum das so ist, verstehe ich noch nicht ganz, denn die Siedlerfamilien, die diese Techniken damals hierher gebracht haben, kamen ja aus Europa, wo das Quilten nur so eine relativ kleine Rolle spielt.
Mein Traum ist es, etwas von der Atmosphäre mitzunehmen, nach Deutschland zu bringen. Da bin ich nicht die erste, aber vielleicht kann ich meinen Teil dazu beitragen. Ich finde es faszinierend, wie beliebt hier Quiltretreats (ein Wochenende oder länger quilten bis der Arzt kommt) bis hin zu Quiltkreuzfahrten (!) sind, wie häufig und riesig Quiltveranstaltungen sein können, wie regelmäßig Museen Sonderausstellungen über Quilts machen, einfach das Selbstverständnis der Quilterinnen. Das beflügelt.

Das beflügelt sogar so sehr, dass jetzt endlich mein Blog „Sew-do-I.com“ online ist, in dem ich über unser Leben in Michigan und meine Quilt-Erlebnisse berichten werde. Denn schließlich kann man auch von einer Ruderpartie erzählen. Ich freue mich, wenn Ihr mich dort besucht.

Sneak Preview: Quilt von Stacey Day mit Tula Pinks neuester Kollektion, Slow and Steady, durfte ich in Chicago einen Blick draufwerfen (und das Fat-Quarter-Paket kaufen durfte ich auch, siehe „Sammelsucht")
Ach ja, einen Tipp habe ich vielleicht doch für Euch: Meine allerneuste Leidenschaft habe ich bei einem Hexie-Seminar mit Cathy Miller gelernt. Die ist auch als „The Singing Quilter“ bekannt und ihre Liedtexte sind zum Brüllen komisch. Ein Lied besteht ausschließlich aus Block-Namen. Als „Textbuch“ hat sie den entsprechenden Sampler-Quilt genäht. Im Seminar „Alles über Hexagons“ hat Cathy tatsächlich eine Menge unterschiedlicher Möglichkeiten gezeigt. Unter anderem eine Alternative zu EnglishPaperPiecing, nur viel besser. EPP ist für meine ungeschickten Finger zu anspruchsvoll, mit der Kleberei und dem filigranem Papier stehe ich auf Kriegsfuß. Cathy hatte Plastikvorlagen, um die man ein Stoffstück legt, mit zwei Büroklammern anklemmt und festnäht. Beim anschließenden Zusammennähen der einzelnen Hexagons kann man sich mit der Nadel hervorragend an der stabilen Kante der Templates orientieren, so kann nichts schiefgehen. Zum Schluss lassen sich die Plastikschablonen leicht knicken, herausziehen und endlos wiederverwenden. Jetzt habe ich endlich eine Nähbeschäftigung zum Mitnehmen! 

11 Kommentare:

  1. Liebe Nico, was für ein toller Bericht...so fängt der Samstag gut an, ich hatte richtig Spaß beim Lesen :-) Bei einigen Punkten habe ich mich beim zustimmend nicken erwischt, ich konnte mich selbst erkennen :-). Mit Erfahrung kann ich auch nicht wirklich punkten, künstlerisches Talent eher naja, aber was wir alle gemeinsam haben: Die Freude und den Spaß an der Sache und das ist die Hauptsache!!!!! Deinen Quilt in grün finde ich sehr schön, tolle Farben. Jetzt gehe ich direkt mal zu Deinem Blog,
    Liebe Grüße, Miriam

    P.S.: Habe ich eigentlich schon mal gesagt, wie toll ich diese Serie finde? Wenn nein, dann mache ich das jetzt: Vielen Dank, liebe MCQ, da habt Ihr etwas ganz tolles ins Leben gerufen!

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  2. Liebe Nico,

    Dein Bericht über Deine Quiltleidenschaft klingt unglaublich sympatisch. Und aus Sicht von uns deutschen Quilterinnen hast Du es geschafft: Du sitzt in Amerika an der Quelle. Was für ein Traum. Meiner Erfahrung nach stellt sich irgendwann ein eigener Stil ein und wenn der Stash erstmal groß genug ist, entwickelst Du plötzlich spontane Ideen, die Du umsetzen musst. Ab dann bist Du nicht mehr aufzuhalten.

    LG Mareike

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  3. Liebe Nico!
    Gerade heute morgen war ich zu Besuch in Deinem Blog. Wunderbar! Toll heute hier mehr von Dir zu erfahren!
    LG
    Julia

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  4. Liebe Nico,
    deine Darstellung ist herzlich und erfrischend. Deine positive Einstellung wird dich automatisch nach vorne bringen. Auf jeden Fall freue ich mich über die "Life Reportagen" in deinem Blog.
    Alles Gute, Renate

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  5. Hallo Nico, du klingst so erfrischend sympathisch und lebenslustig! Musste häufig schmunzeln beim Lesen. Ich mag die Serie "Blind Date" so gerne, weil ich so gerne hinter die Kulissen schaue. Ich finde es so spannend, wie unterschiedliche Persönlichkeiten hinter all diesen wunderbaren Quilts stecken, und auch wie unterschiedlich die Stile und Herangehensweisen sein können. Das inspiriert so sehr. Ich find's toll, dass nicht nur die ganz produktiven, ganz erfahrenen Quilterinnen hier zu Wort kommen (obwohl: so ganz am Anfang stehst Du ja nun auch nicht mehr, nach zwei, drei fertigen ganz großen Quilts!), dass einfach für jede Art von Quilt-Liebe hier Platz ist. Ich schau gerne rüber auf Deinen Blog um über Eure Abenteuer in den USA zu lesen. Herzliche Grüße, Gabi

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  6. Hallo Nico,

    wundervoll herzlich und sehr sympatisch wie du deinen (quilt)Werdegang beschreibst. Schön. Ich bin gespannt, was du auf deinem Blog noch alles über das Leben auf der anderen Seite vom großen Teich erzählst.

    Liebe Grüße

    Judith

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  7. Hallo Nico,

    wenn ich mir so überlege, dass Du noch gar nicht so lange quiltest, aber schon so viele schöne Stoffe gesammelt hast, dann hat Dich das Quiltfieber aber voll erwischt ;) und dann noch die unendlichen Möglichkeiten, die Dir in USA geboten werden... Du hast ja echt ein Glück! Viele Grüße
    Martina
    Deine grünen Hexagons finde ich super...

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  8. Hallo Nico,
    du hast so lebhaft und interessant beschrieben wie du überhaupt bei diesem Hobby gelandet bist, lebst jetzt auch noch direkt an der Quelle des traditionsreichen Quiltzaubers und bist dir dessen bewusst. Find ich alles traumhaft. Deine Arbeiten und die Darstellung deiner Entwicklung gefallen mir sehr und dein positiver Ansatz bei alldem kommt prima rüber. Auch dein Blog gefällt mir. Ich werde ich regelmäßig besuchen.
    LG este

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  9. Liebe Nico,

    so ein herzerfrischender Bericht! Auch ich fühle mich oft als Ruderboot und kann das sehr gut nachvollziehen, obwohl ich schon mein Leben lang nähe. Bei Deinem Blog werde ich gern vorbeischauen. Alles Gute für Dich und Deine Familie in Michigan,
    liebe Grüße Ariane

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  10. Hallo, Ihr Lieben!
    Nachdem unser lieber Besuch aus Deutschland wieder gesund zuhause angekommen ist und ich mich durch den ganzen liegengebliebenen Alltag gewurschtelt habe, bin ich hier über Eure unglaublich freundlichen Kommentare gestolpert.
    Und ein bisschen rot geworden: Ihr motiviert mich so sehr, dass ich mit der Näherei und Schreiberei auf dem richtigen Weg bin, dass ich ganz kribbelig werde. Ich versuche, möglichst alles, was mir hier berichtenswert erscheint, zu erzählen - und freue mich sehr über Eure Fragen und Anregungen, weil ich gar nicht weiß, wie es denn eigentlich in Deutschland um das Quilten bestellt ist oder was Euch interessiert. Ich bin ja als komplettes Greenhorn hier angekommen und prinzipiell von allem völlig beeindruckt - kann aber gar nicht abschätzen, ob das eine oder andere, das mich hier umhaut, nicht auch in Deutschland ganz selbstverständlich ist. Auf jeden Fall weiß ich, dass es nicht überall die Stoff-Abteilung in Secondhandläden gibt (die einen ziemlich großen Teil meiner geliebten Stoffsammlung erklärt :o)!) Zuerst versuche ich jetzt mal herauszufinden, wie ich Links zu anderen Blogs mache, wie mein Blog eigentlich funktioniert, ich Fotos gleich groß mache... und schreibe Euch, was das Zeug hält. Ach ja, und nähen wollte ich auch noch... Danke für diese Riesenportion Glücksgefühl und Megamotivation!!! Ganz herzliche Grüße, Nico

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  11. ...und wie man die schönen Fotos links neben den Kommentaren hinbekommt :oP

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Danke für Deinen Kommentar, wir freuen uns sehr darüber.
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